Ursprünglich aus dem Iran kommend, nutzt Shari Deutschland für sich als neue Chance. Die großen Kulturunterschiede überwindet er gern.
Sharyar Moradi läuft mit sicherem Schritt über den Alexanderplatz. Man sieht, das er sich hier auskennt und in dieser Stadt zu Hause ist. Doch das ist bei Weitem nicht selbstverständlich, denn mit 16 Jahren hat der iranische Kurde sein Heimatland verlassen und lebt seitdem in Deutschland. Er habe das Abitur schon damals machen wollen, konnte es aber in der Heimat nicht beenden.
Die ersten Schritte am BK – der Vorbereitungskurs
Shari holt sein Abitur daher in seiner neuen Heimat Berlin nach. Es ist ein Sommernachmittag, als er das Schulgebäude in der Turmstraße zum ersten Mal betritt, um sich ein Bild von seinem zukünftigen Lernort zu verschaffen. Sein Bauch sagt ihm sofort, dass er sich hier selbst finden wird. Tatsächlich wird er sich hier nicht nur finden, sondern in gewissem Maße neu er-finden.
Das Berlin Kolleg bietet Geflüchteten wie ihm zunächst die Möglichkeit eines separaten Vorbereitungskurses, so dass er seine bestehenden Kenntnisse und Fertigkeiten der deutschen Sprache intensiv vertiefen kann. Mit Beginn des Vorbereitungskurses lernt er auch viele verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen kennen, z.B. aus Afghanistan und Syrien.
Das Sprachangebot im Vorbereitungskurs nutzt Shari erfolgreich für sich. Aber natürlich bleibt der weitere Weg zum Abitur am Berlin Kolleg für ihn anfangs trotz allem Lernwillen sprachlich eine Herausforderung. Das liegt daran, dass er wie so viele Zugewanderte die deutsche Sprache bereits gut spricht, aber vor allem im Schriftsprachlichen und bei der Grammatik noch mitten im Sprachlernprozess ist. Und das ist deshalb eine Herausforderung, weil der Weg zum Abitur nun mal über immer längere und komplexere Texte führt, die in deutscher Sprache zu verstehen, zu analysieren und zu verfassen sind.
Shari als Kollegiat im Regelunterricht
Inhaltlich und kognitiv hat Shari wenig Probleme in der deutschen Oberschule. Als Kind schon haben ihn komplexe Themen begeistert. Diese Begeisterung für das Lernen hat er sich bis ins Erwachsenenalter erhalten, wie mehrere seiner alten Lehrer hier am Kolleg übereinstimmend bestätigen. Außerdem habe Shari konstant einen außergewöhnlichen Arbeitseifer gezeigt. Deutsche Tugenden, sozusagen. Er bringt daher beste Voraussetzungen mit, ungeachtet einiger sprachlicher Hindernisse einen erfolgreichen Weg zum deutschen Abitur zu gehen.
Trotz der zu erwartenden Schwierigkeiten, die jedem erwachsenen Lerner beim Meistern einer neuen Sprache begegnen, fasziniert Shari die Aussicht, die deutsche Sprache nach einiger Zeit auf einem wirklich hohen Niveau zu beherrschen. Er lernt in den meisten Fächern schnell und überall zielstrebig und kann sich so nicht nur in seinen späteren Leistungskursen Biologie und Chemie erfolgreich durch das Abitur kämpfen.
Verschiedene Kulturen und Meinungsverschiedenheiten im Klassenraum sind für ihn zunächst noch ungewohnt, aber er passt sich schnell und bereitwillig an. Shari bleibt vielseitig interessiert und entwickelt trotz seiner Leistungskurse in den Naturwissenschaften ein besonderes Interesse für die deutsche Sprache. Nicht nur im Fach Deutsch arbeitet er sich fleißig durch und begeistert Lehrkräfte mit seinem Willen. Diesen besonderen Arbeitseifer gepaart mit Interesse für die Sache bekommt Shari sogar in einer eigens für ihn erdachten Urkunde von einem seiner Deutschlehrer schriftlich bescheinigt.
Shari reflektiert über seine Zeit am Berlin Kolleg
Ihm sind einige positive Erlebnisse, wie z.B. der Umgang zwischen den Lehrern und den Kollegiaten sowie das Angehen diverser Probleme, die vertraulich und schnell gelöst werden konnten, in Erinnerung geblieben. Besonders überraschend für ihn selbst war zunächst die Tatsache, dass hier in Deutschland die mündliche Mitarbeit mit in die Schulnote einfließt. Shari erklärt in Bezug auf sein Herkunftsland: „Dort zählt nur die schriftliche Note, es gibt keine mündliche Bewertung, die mit in die Note einfließt’’.
Im Iran existiere außerdem ein recht klares Rollenbild für Mann und Frau, das jeweils vergleichsweise traditionell definiert ist. Die Frau übernehme häufig einfach den Haushalt und der Mann gehe arbeiten. Abweichende Geschlechterrollen oder gar das Konzept ‚genderdivers‘ sind Shari daher zunächst vollkommen unbekannt. Die Toleranz der Menschen in Bezug auf solche und andere Themen hier hätten ihm jedoch gezeigt, wie wichtig es ist, mit Meinungsverschiedenheiten und unterschiedlichen Lebensentwürfen umzugehen und diese zu respektieren. Ansichten, die er nun offenkundig teilen kann, sind ihm vorher so nicht begegnet; durch diese Anpassungsfähigkeit und seine offene, herzliche und höfliche Art lernt Shari viele verschiedene Kollegiaten kennen.
Trotz all der Vielfalt und des neu eingeschlagenen Weges stört ihn jedoch, dass die Integration von Zugewanderten trotz allem auch am Kolleg nicht genug reflektiert werde. Des Weiteren fehlt ihm ein Unterrichtsfach Sport. Laut Shari wäre Sport sogar ein besonders wichtiges Fach, das Kollegiaten nicht nur zum besseren Nachdenken anrege, sondern einen wichtigen Ausgleich im Leben und in der Schule schaffe. Ohne Sport ist das Gehirn schließlich weniger aktiv, wie Shari als ehemaliger Bio-Leistungskursteilnehmer mit Gewissheit sagen kann.
Außerdem hat Shari noch ein paar Tipps für das BK parat. Mehr digitale Kurse für die Lehrkräfte, eine kollegweite Schulung im Umgang mit Stress für alle Beteiligten und ein noch sensiblerer Umgang mit Rassismus und Antisemitismus hält er, der sich selbst für die Demokratie einsetzt, für wichtig.
Abiturprüfung und weiterer Lebensweg
Shari erinnert sich noch gut an die Verkündung der Abiturergebnisse: Nächtelang konnte er vorher schlecht schlafen. Doch als ihm die Abiturprüfungsnoten bekannt gegeben werden – also mehrere Wochen nach den eigentlichen Prüfungen – besteht er alle Prüfungen mit guten Noten. In seinen beiden Leistungskurs-Fächern Chemie und Biologie erreicht Shari sogar 14 Notenpunkte auf dem Zeugnis. Er ist über seine Ergebnisse sehr erfreut und kann aufatmen: Geschafft!
Die Zeit am Berlin Kolleg prägt ihn noch immer und er strebt bis heute danach, komplexes Wissen weiter zu vertiefen. Innerhalb kurzer Zeit legt Shari sich so das Ziel zurecht, Psychologie studieren zu wollen. Aber diesen Plan setzt er auf seine eigene Weise in die Tat um. Tatsächlich hat Shari nach dem Abitur nämlich eine Ausbildung in einem Krankenhaus als Pfleger angefangen. Psychologie studiert er trotzdem nebenbei: Im Fernstudium, und zwar mit besonderem Interesse im Bereich der Neurologie. Er hat das Fernziel, Neuropsychologe werden zu wollen.
Das Leben hat Shari bereits viele Türen geöffnet; ob er in der Zukunft ein Neuropsychologe sein wird, bleibt abzuwarten. Den Eifer und die Leidenschaft, seine Ziele auch zu erreichen, hat er jedenfalls bereits erfolgreich am Berlin-Kolleg unter Beweis gestellt.