TW: Suizid, trans* Feindlichkeit
Am 14. September 2021 zündete sich eine trans*-Frau in Berlin auf dem Alexanderplatz an und verstarb wenige Tage später im Krankenhaus an ihren Verletzungen.1) Dieser Vorfall schockierte viele Menschen aus der queeren Szene. Leider ist dies kein Einzelfall, queere Menschen und vor allem trans* Personen haben ein erhöhtes Risiko, Suizid zu begehen. Sie müssen sich ständig erklären, rechtfertigen, Anfeindungen und Diskriminierung in Kauf nehmen, nur weil sie nicht in die heteronormative Mehrheitsgesellschaft passen.
Doch was bedeuten die Begriffe „Heteronormativität“ und „Mehrheitsgesellschaft“?
Der Begriff „Heteronormativität“ besteht aus den zwei Wörtern, „hetero“ und „Normativität“, was sich von „Norm“ ableitet. Hetero kommt aus dem Griechischen und bedeutet „anders“, „verschieden“. Das Wort wird benutzt, um Gruppen zu beschreiben. So heißt es etwa: „Diese Gruppe ist sehr heterogen.“ (Diese Gruppe ist sehr verschieden).
Der Begriff wird aber auch genutzt, um eine Sexualität zu beschreiben, in diesem Falle dazu, „heterosexuell“ zu sein, also sexuelle Anziehung im Hinblick auf „das“ andere Geschlecht zu empfinden. Das Wort „Norm“ bedeutet „Richtlinie“, „Verbindlichkeit“ (hier jedoch nicht in dem Sinne, dass es gesetzlich festgelegt wäre). Also bezeichnet Heteronormativität die normative Annahme, das Richtmaß, dass alle Personen auf „das“ andere Geschlecht ‚stehen‘. Darin enthalten ist auch das Phänomen der Binarität, also die Annahme, dass es nur zwei Geschlechter gebe.
Mehrheitsgesellschaft bedeutet, dass etwas die Präsentation/Repräsentation für die Mehrheit der Gesellschaft ist. Der Begriff betont, dass es hier um etwas geht, das einen größeren Part hat oder einnimmt als Minderheiten oder marginalisierte Gruppen.
All dies fängt schon in den ersten sozialen Kontexten an, in denen wir uns als Menschen begegnen. Besonders zu nennen ist hier die Schule.
Denke ich an meine erste Schulzeit zurück, dann erinnere ich mich an Lehrbücher und Unterrichtsmaterialien, auf denen nur heteronormative Kernfamilien zu sehen waren: Mutter, Vater, zwei Kinder (ein Junge und ein Mädchen).
Ich erinnere mich daran, dass immer nach Jungen und Mädchen aufgeteilt worden ist, beispielsweise im Sportunterricht. Ein Dazwischen gab es nicht.
Ich erinnere mich zudem an Aufklärungsunterricht, in dem darüber gesprochen wurde, wie eine Schwangerschaft funktioniert und wie man eine verhindert.
Ich erinnere mich an die Unterteilung „Männer- und Frauen-Stimmen“ im Musikunterricht.
Ich erinnere mich aber nicht an eine Aufklärung darüber, dass es noch etwas jenseits von männlich und weiblich gibt.
Ich erinnere mich auch nicht daran, in Unterrichtsmaterialien eine Regenbogenfamilie zu sehen.
Ich erinnere mich nicht an eine Sprache, in der alle mit angesprochen wurden.
Ich erinnere mich nicht an die Aufklärung darüber, wie Konsens funktioniert.
Ich erinnere mich nicht an BiPoC ( Black, Indigenous, and People of Color ) in Schulbüchern oder Materialien.
In der „gleichstellungsorientierten Analyse“, die Melanie Bittner im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung erstellte und in der unter anderem verschiedene Schulbücher untersucht wurden, kam heraus, dass in den untersuchten Englischbüchern keine Sichtbarkeit von lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen und trans* Personen gegeben ist.
„Alle Paare und Flirts entsprechen der heterosexuellen Norm.“
Es gibt in den Büchern keine Familien mit 2 Vätern oder 2 Müttern.Selbst Patchwork Familien werden nicht genannt, es wird so getan, als existiere nur die „klassische Kleinfamilie“.
In den untersuchten Biologiebüchern wird lediglich in zwei von neun untersuchten Büchern Homo- und Bisexualität erwähnt. In dem Buch Linder 1 wird als „Beispiel“ von Homosexualität ein Zeitungsartikel gezeigt, indem eine Entführung und ein Missbrauch von einem Mann gegenüber einem Jungen genannt wird. Damit wird Homosexualität mit Pädophilie in Verbindung gebracht und erzeugt Angst und Schrecken bei den Schüler*innen.Über Trans* und Inter* Menschen erfahren die Schüler*innen nichts in den untersuchten Schulbüchern.
All die Sachen, an die ich mich nicht erinnere, könnte man auch als Leerstellen bezeichnen.
Leerstellen, welche auch in der genannten Analyse zu finden sind.
Leerstellen, welche es zu füllen gilt.Leerstellen, welche wichtig sind zu besetzen.
Leerstellen, welche auch in meiner jetzigen Schule für Erwachsenenbildung existieren.
Leerstellen, welche es immer noch zu füllen gilt.
Doch wie kann man diese Leerstellen füllen?In Berlin gibt es verschiedene Vereine und Bildungseinrichtungen, welche Materialien und Workshops im Bereich Diveristy Education anbieten, beispielsweise gibt es das Queerformat: https://www.queerformat.de/.
Schulen und andere Einrichtungen können die Webseite aufrufen und finden viele Videos, die zum Erklären benutzt werden können, aber auch komplette Unterrichtsblätter/Einheiten in verschiedenen Fächern für Grundschule bis Sekundarstufe 2.
Ebenso ist es wichtig, das pädagogische Personal und das Personal in der Verwaltung gut zu schulen.
Gerade Schule ist eine Institution, wo viele Individuen und Identitäten aufeinander treffen und nun miteinander arbeiten und agieren müssen.Das kann einen am Anfang ziemlich überfordern.
Deswegen ist es wichtig, eine gewisse Fehlerfreundlichkeit an den Tag zu legen, damit Verständnis auch für die andere Seite gezeigt wird.Es ist für uns alle schwierig, gewisse -Ismen und gesellschaftliche Normen zu durchbrechen und sie zu hinterfragen.
Umso wichtiger ist es, diese Themen miteinander anzugehen, zu debattieren, zu diskutieren und eben dieses überhaupt erst zu erlernen.
Wenn Dich dieser Text getriggert hat, es gibt Hilfestellen, an die Du dich wenden kannst:
- Beratungsstelle Neuhland : 030/8730111 (Erreichbarkeit Montag bis Freitag von 09:00-18 Uhr )
- Berliner Krisentelefon : 030 39063 10 (Rund um die Uhr erreichbar )
Quellen : https://www.regenbogenfamilien-nrw.de/wp-content/uploads/2012/05/120423_Schulbuchanalyse_web.pdf (letzter Zugriff am 28.11.21 um 14:30 Uhr
Titelbild Quelle : https://www.stiftungen.org/themen/geschlechtergerechtigkeit/heteronormativitaet-ist-tief-in-der-gesellschaft-verankert.html