Ein Weihnachtskrimi in einem Aufzug

New Hampshire, irgendwann in den 1960ern.

Es war Weihnachten und wir standen alle um das Geschenk des Abends, um unseren Gastgeber in einer Lache voller Blut, eine Zuckerstange in der Kehle habend. Die Partygesellschaft schaute sich verschwörerisch gegenseitig an, als wäre jeder der Mörder gewesen. Ein Mann meldete sich zu Wort, Detective Warren. Ein Mann von eindrucksvoller Statur, gekleidet in einem grauen Nadelstreifenanzug, welcher wohl aus den teueren Ecken der Stadt kam. Aber nicht nur sein Anzug und die dazu überaus gut passenden schwarzen Lackschuhe machten diesen Mann zu einem hinreißenden Anblick. Sein Gesicht, welches so jung geblieben war und dennoch so viel Weisheit ausstrahlte, der Schnurrbart, welcher einige graue Haare enthielt und so gut gepflegt war wie das gesamte Auftreten dieses Mannes an sich, wurde getoppt durch das glatt gegelte Haar, welches zwei graue Strähnen über den Ohren hatte.

Der Detective forderte uns sofort auf, die Polizei zu verständigen. Doch bis die erste Streife vor Ort wäre, würden Stunden vergangen sein und der mögliche Mörder könnte bereits sein nächstes Opfer gefunden haben. Ein strenger Tabakgeruch zog durch den Raum. Warren zündete sich eine Zigarette an, seine Denkhilfe, so schien es.

„Alle Anwesenden bleiben hier in diesem Raum, auch die Angestellten.“, sagte er mit dieser verrauchten, aber melodischen Stimme, der niemand zu widersprechen vermochte. Also erledigten die Angestellten des Hauses nur die zur Sicherheit notwendigen Tätigkeiten und versammelten sich mit den Gästen im großen Ballsaal des Anwesens. Man konnte die Unterschiede überaus gut erkennen, abgesehen von der ausgewählten Kleidung, welche sich alle dort arbeitenden Menschen teilten, wurden sie auch von den Gästen der Party mit abfälligen Blicken gemustert. Der Abend schritt unbeirrt weiter voran und der Schneefall vor den Türen des alten Herrenhauses nahm zu. Schon bald würde der Kontakt zur Außenwelt vollends unterbrochen sein. Detective Warren wendete sich zu einem der Angestellten: „Ich brauche ein Zimmer, welches eine verschließbare Tür hat und dann noch einen Whiskey, denn dieser Abend wird sehr lang.“. Während eines der Mädchen des Hauses ihm den Weg zu einem seinen Wünschen entsprechenden Zimmer zeigte, machte ihm ein Kellner einen Whiskey mit Soda fertig und brachte ihn in eben jenes Zimmer. Dort sitzend bat Detective Warren zuerst Suzan Campbell in den Raum, die Frau des Gastgebers und eigentlicher Kopf hinter dem Weihnachtsfest, welches Geld für einen guten Zweck sammeln sollte. Warren sah zuerst die behandschuhte Hand, welche auf dem Türgriff lag und die Tür aufschob. Von dort folgte sein Blick den samtigen Armen hinauf zu ihren Schultern, über welche ihre golden-karamellfarbenen Haare fielen und dort den Übergang zu ihrem Kleid beschrieben. Ein Kleid, welches man so nur einmal in seinem ganzen Leben gesehen haben kann. Es war in einem Rot, welches sogar den Weihnachtsschmuck farblos aussehen ließ, fiel bis zu ihren Knien und offenbarte dort noch einmal ihre zarte Haut, nur um dann wieder in Pumps überzugehen, welche das gleiche strahlende Rot hatten. Sie setze sich vor den Detective, welcher einen Schluck von seinem Whiskey trank und noch einen Zug von einer der dutzenden Zigaretten des Abends nahm. Dann erblickte er ihr Gesicht. Es war so zart und weich, dass selbst die begnadetsten Bildhauer und Maler dieser Schönheit nicht hätten gerecht werden können. Lady Campbell faltete ihre Beine übereinander und betrachtete den Detective mit ihren durchdringenden saphirblauen Augen.

„Ich lasse mich nicht von Männern wie Ihnen betören, Mr Warren.“, sagte sie in einem Ton, welchen man von einer Frau ihrer Position nicht erwartet hätte. „Ich habe meinen Mann geliebt und ich wäre schon früher in der Lage gewesen, meinen Mann zu töten. Wieso sollte ich es an einem Abend wie heute tun, wenn so viele Menschen vor Ort sind?“.

„Vielleicht genau deswegen. Es wäre so unwahrscheinlich, wenn Sie es an einem Abend wie heute tun würden, weil Sie immer die Möglichkeit gehabt hätten.“, antworte der Detective durch eine Rauchwolke, „Sie wollten immer aus dem Schatten ihres Mannes heraustreten und wieso sollten Sie ihn dann nicht einfach umbringen?“.

Eine weitere Dame betrat den Raum, eine groß gewachsene Blondine mit graublauen Augen, in der Kleidung der Angestellten des Hauses. Warren erkannte sie wieder. Sie hatte ihm den Raum gezeigt und auch schon früher am Tag immer wieder Blicke mit ihm ausgetauscht. Er tat dies natürlich in seiner arroganten Verblendung als Begeisterung für ihn und seinen Ruf ab. „Dürfte ich die Dame kurz hinaus bitten?“, sagte sie mit zitternder Stimme und stellte sich ohne eine Antwort abzuwarten bereits wieder vor die Tür. „Sie entschuldigen mich? Ich werde von meiner Angestellten gebraucht.“, warf Lady Campbell dem Detective entgegen, als sie bereits aufstand, um den Raum zu verlassen. Die Tür fiel nicht ins Schloss und so konnte er den beiden jungen Damen beim Gespräch zuschauen. Sie schienen eine Innigkeit zu haben, welche er nicht erwartet hatte. Die Angestellte hielt eine Hand der Lady und legte die andere auf die von Miss Campbell, welche ihre wiederum auf die Wange der angestellten Dame gelegt hatte. Mehr musste er nicht wissen. Er stand auf, zündete sich eine weitere Zigarette an und ging mit langsamen Schritten zu den beiden Frauen, welche durch das tiefe Gespräch vom plötzlichen Auftauchen des Detectives überrascht waren. „Sie waren es, oder?“, fragte er in unglaublich ruhigem Ton die Angestellte, welche vor ihm sehr klein wirkte. Doch bevor sie antworten konnte, kam die Lady ihr zuvor: „Ich werde nicht zulassen, dass sie verhaftet wird und selbst Sie werden uns nicht aufhalten können.“.

Sie gingen zu dritt zurück in den Gesprächsraum und schlossen die Tür, diesmal richtig. „Erzählen Sie mir, wieso Sie es getan haben?“, äußerte Warren. Die Angestellte, welche sich als die Gärtnerin des Hauses herausstellte und Jamie Green heißt, begann die Geschichte unter vielen Tränen zu erzählen. Der Herr des Hauses war wohl ein starker Trinker gewesen, welcher in häufigen Ragen auch nicht Halt davor machte, seine Frau und die Angestellten anzugreifen, wobei er seiner Frau doch immer die schlimmste Gewalt antat. Einige Tage zuvor war es dazu gekommen, dass er mit einem glühenden Schürhaken auf Lady Campbell losgegangen war und diese sich nur knapp davor habe retten können. Der Mord an ausgerechnet dem heutigen Abend kam dadurch, dass Herr Campbell die angestellten Damen immer unsittlicher berührt hatte und auch vor den minderjährigen Mädchen keinen Halt machte. Als sie dies mitbekommen hatte, schnappte sie sich den erstbesten scharfen Gegenstand und ging auf ihn los.

Es war also eine Tat zum Schutz anderer, dennoch Mord. Was sollte er tun? Er entschied sich, nichts zu tun. Die Polizei hörte ohnehin häufiger nicht auf ihn und sie würden auch diesmal seinen Worten keinen Glauben schenken. Er empfahl Lady Campbell und Miss Green, sich vorerst zurückzuziehen und sich später mit ihm auf den Weg in die Stadt zu machen, um von dort aus weiterzukommen. Ihre geheime Liebe würde auf dem Land sowieso nur kritisiert werden und zu Getuschel führen, wenn nicht eine von ihnen verurteilt und eingesperrt werden würde oder gar Schlimmeres.

Warren zündet sich eine weitere Zigarette an und stellt sich im Dunkel der Nacht vor das weihnachtlich geschmückte Herrenhaus, welches im meterhohen Schnee verschwand.

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