Unsichtbar, durchsichtig,
Unnötig wuchtig, ungehört –
Unerhört,
Wie viel sie sprechen
Und wie wenig sie sagen.
Ich bewege mich kraftlos durch
Ein Gewirr gesichtsloser Gestalten
In beißender Kälte
Betäubt von dröhnendem Klang
Bunter Stimmen,
Die immer blasser werden,
Je länger man zuhört.
Auch meine Stimme verblasst
In dieser würgenden Stille.
Ich suche meine verschollene Welt
Und finde sie nicht.
Der Abgrund
Es zischt, klirrt, klappert, es dehnt sich schmerzvoll. Es drückt, zerdrückt mich. Will platzen, kocht und dampft. Es zittert. Ich zittere. Ich zittere und wackle ganz stark mit dem ganzen Körper. Ich halte mich fest. Ich muss mich ganz dolle festhalten. Ich breche stück für stück in mich zusammen.
Die Ziegelsteine fallen laut krachend und doch so still in die unsichtbare tiefe. Der putz wirbelt leise in der Luft, die kleinen Stückchen glänzen nachdenklich in der Herbstsonne. Ich schaue ganz mutig in die tiefe, will sehen, wohin meine Stückchen abfallen. Will ganz mutig schauen, will es doch nicht. So interessant sind meine Stückchen gar nicht. Es tut weh, ihnen hinterher zu schauen. Ich vergesse meine Stückchen. Ich vergesse mich. Ich will mich nicht mehr wissen. Diese Bekanntschaft setzt mir zu sehr zu. Ich erstarre. Mitten drin, nirgendwo.
In Vergessenheit ist die ruhe. Die ruhe ist aber so, so schauderhaft. Meine Stückchen schauen aus der tiefe, wie ich erstarrt mittendrin im nirgendwo stehe, wie ich mich festhalte, wie es juckt und klirrt und klappert.
Ich falle in mich zusammen. Ich stehe bewegungslos vor einer tiefen stille. Ich starre mit geschlossenen Augen hinein. Will fallen, nein, will gefallen sein. Das fallen macht mir angst. Ich will keine Gesellschaft vor diesem Abgrund, es ist zu schön, um es zu teilen. Ich habe keine Gesellschaft, dieser Abgrund gehört mir voll und ganz. Hier stehe ich und rede zu mir selbst und will mich selbst nicht mehr hören. Nicht so interessant was ich zu sagen habe. Warum rede ich noch? Ich muss es nicht mehr. Früher, als die Stückchen noch da waren, da musste ich reden. da dachte ich, ich sage etwas. Ich sage nichts, ich sage nichts mehr, ich schaue in die tiefe. Doch auch schauen will ich nicht mehr, ich vertrage die Anstrengung nur noch ganz schlecht. Ich laufe durch die Ruinen meiner Lebendigkeit und bringe nicht einmal das Interesse auf, die dekadente Stimmung zu genießen. Die unverfroren desinteressierte Dekadenz, die zynisch-erhaben über allem steht, mein neues ich, das an den rändern jetzt schon abklebt.
K. ist nicht da. K. kann mich ganz gut festhalten. Ich lege nachts meinen arm um sein Kissen und weine ein bisschen, damit das schlafen leichter fällt. Es ist soviel zu tun und so wenig Grund, es zu tun. Ich stehe nicht auf festem Grund, ich habe keine gründe. Mein Grund schwebt in der Luft und ist von triefenden rissen durchzogen.
Ani
TW: Suizid
Es war einer der farblosen Novembertage, an denen der Himmel resigniert-nachdenklich die Erde anschaut, wie jemand, der mitten in einer Unterhaltung auf einmal mit dem Blick ins endlos Viskose, Sumpfige verrutscht und da nicht mehr loskommt. Der Himmel starrte in sich hinein und vergaß die Welt. Etwas beruhigend-harmonisches war in dieser weltlichen Einsamkeit. Das expansive Umsichgreifen der Dinge setzte kurz aus und ließ die Menschen in Ruhe, jeden bei sich. An einem Tag also, wo die Welt so wundersam unaufdringlich in sich stand, stürzte sie in den Kanal.
Ihr Name war Ani. Noch nie hatte ich einen Menschen getroffen, der stärker war als Ani. Ani konnte auch den heftigsten Schlag ohne Schluchzen überstehen. Sie schloss kurz die Augen, ballte die Fäuste und lief los. Wohin, war dann egal. Sie hatte den Schlag überstanden. Ani sprach nicht gern über sich. Ani hatte nie in der Öffentlichkeit geweint. Ani war stark, Ani war verwundet. An dem Morgen rief sie mich an und sagte: “Versprich mir, dass du dein Versprechen von damals hältst“. Ich hatte nicht verstanden wovon sie sprach, bis ich erfahren habe, dass sie in den Kanal gestürzt war.
Wir haben viele Dämmerungen miteinander verbracht. Damals waren wir viel feiern. Manchmal wurde sie mitten im Gespräch still, schaute gen Horizont, als wolle sie erkennen, wie der Tag weit in der Ferne aus dem Osten heranrollt. Dann sagte sie “Weißt du, ich zähle immer die Tage”. Ich sah sie verständnislos an. “Jede Woche, wirklich”. Wir schwiegen kurz. „Willst du Pommes?” – ich streckte ihr die kleine rote Tüte entgegen. „Ich bin gleich wieder da” – sagte sie. Nach ein paar Minuten kehrte sie zurück, eine brühend heiße Apfeltasche in der Hand. „Wieso zählst du denn die Tage?” – fragte ich. „Sonst schaffe ich es nicht durch die Woche” – sie biss tief in die brühend heiße Apfeltasche. Ich nickte. Dann kam jemand zu uns und ihre Schwere löste sich in einer nächtlich- irrsinnigen Unterhaltung zwischen betrunkenen Fremden.
Wir vermissten beide diesen nächtlichen Irrsinn. „Wenn ich sterben sollte” – sagte sie ein anderes mal, Monate danach, – “versprich mir, dass du meiner Mutter nichts sagst „Ich hielt inne: “aber mit der Zeit würde sie doch -”“Du schickst ihr in meinem Namen Briefe, okay?” – sie sah so ernst aus, dass ich mich nicht traute zu fragen, ob das ein Scherz sein soll. Es war kein Scherz. Die Briefe hatte sie vorbereitet. Ebenso wie eine Notiz auf dem Handy, neben Einkaufslisten und Gedichts entwürfen – “wenn was passiert, ich liebe dich”. Datiert 15. November 2017.
Ich konnte lang danach nicht schlafen. Ich ging öfter zum Kanal. Es war ein schöner Ort, mit Enten und Efeu. Gelbe Blätter wiegten auf dem Wasser, es atmete bedächtig und ließ die Blätter weiter forttreiben, bis sie sich in den Ecken ansammelten und die kleinen weißen Boote umkreisten. Ich stand da und sah den Enten beim Schwimmen zu. Ani war stark. Ani konnte einen Schlag hinnehmen ohne zu weinen. Sie würde nur kurz die Augen schließen, ihre Fäuste ballen und loslaufen.
Quellen :
Bild 1 : https://www.pinterest.de/pin/267753140316617864/?d=t&mt=login
Bild 2 : https://www.inprnt.com/gallery/sixfootgiraffe/crumble/
Bild 3 : https://www.shutterstock.com/de/image-vector/female-students-sit-by-river-1344045770