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Filmrezension zu „Die brilliante Mademoiselle Neïla“

Der folgende Beitrag zeigt eine Leerstelle im aktuellen Film geschehen auf. Anlässlich der Filme „Die brillante Mademoiselle Neila“(2017) und der deutschen Neu-Verfilmung mit dem Titel „Contra“(2021) stellt sich die Frage, warum eine angemessene Darstellung von Einwanderern im deutschen Gegenwartsfilm immer noch eine Leerstelle darstellt.

Gute Milieustudie? Oder doch vertane Chance?

Das Schicksal bringt einen jungen Menschen mit Migrationshintergrund aus einem sozial schwachen Vorort in Paris und einen gut situierten alten weißen Menschen aus dem Zentrum Paris zusammen. Klingelt es? Nein, es ist nicht „Ziemlich beste Freunde“. Diesmal ist die Rede von „Le Brio“ oderzu Deutsch „Die brilliante Mademoiselle Neïla“. Ein französischer Film vom Regisseur Yvan Attal, den man hier zu Lande vielleicht noch aus dem dritten Teil der Rush-Hour-Reihe kennen dürfte.

Neïla Salah kommt am ersten Tag ihres Studiums zu spät zur Vorlesung von Professor Pierre Mazard. Dieser äußert sich daraufhin herablassend und diskriminierend. Seine Äußerungen vor dem gesamten Auditorium werden von Student*innen gefilmt und im Internet hochgeladen, woraufhin ihm Rassismus vorgeworfen wird. Nach bereits ähnlichen Vorfällen in der Vergangenheit muss Pierre Mazard vor dem Disziplinarausschuss aussagen. Doch die Hilfe lässt nicht lange auf sich warten: Universitätspräsident Grégoire Viviani schlägt ihm vor, mit Neïla Salah am renommierten Rhetorikwettbewerb teilzunehmen, um so den Ausschuss milde zu stimmen. Widerwillig akzeptiert Pierre Mazard den Vorschlag.

Neïla Salah hat allerdings etwas dagegen und zeigt ihren Professor wegen Diskriminierung und Entwürdigung in der Öffentlichkeit an. Nach monatelangen Prozessen befindet das Gericht in Paris Mazard für schuldig und verhängt eine Haftstrafe von über zwei Jahren. Des Weiteren verliert Pierre Mazard nicht nur seinen Lehrstuhl an der Universität, sondern auch seinen Titel als Professor. Mazard muss zusätzlich drei jahrelang gemeinnützige Arbeit für die Organisation Les Migras leisten, die sich unter anderem für die Rechte von Migrant*innen und der LGBTQ+ Community einsetzt.

So oder so ähnlich hätte der Film enden können, jedoch wäre dieser Ausgang in der Realität vermutlich höchst unwahrscheinlich und alles andere als unterhaltsam für die von Popcorn und Nachos besessene Mainstream-Zuschauerschaft.

Stattdessen nimmt der Film eine eher nüchterne Wende und entwickelt sich zur perfekten Vorlage für alle rassistischen Zuschauer*innen und bestätigt ihr Weltbild von Migrant*innen. Denn, wie der Film uns zu erklären versucht, sind Rassist*innen in Wahrheit ja nur Zyniker*innen, die sich einfach nur gekonnt artikulieren können und somit ja eigentlich keine echten Rassist*innen sind. Es ist halt alles eine Frage der Rhetorik und ob man sie beherrschen und einsetzen kann.

Mir ist durchaus bewusst, welche Botschaft Yvan Attal, der unter anderem das Drehbuch zum Film mitgeschrieben hat, den Zuschauer*innen vermitteln möchte, jedoch verstehe ich nicht, wieso man sich zum gefühlt hundertsten Mal wieder an sämtlichen Klischees bedienen muss, um anschließend doch das Gegenteil beweisen zu wollen?

Bild 1 : https://filmkunstkinos.de/filme/die-brillante-mademoiselle-neila-2017/

Und wieso fremdenfeindliche, zutiefst verletzende und diffamierende Aussagen sich nun plötzlich hinter der Kunst der Rhetorik verstecken dürfen? Ich bin ebenfalls ein Kind von muslimischen Migrant*innen. Meine Mutter trägt kein Kopftuch und ihr Leben findet nicht ausschließlich in den eigenen vier Wänden statt, wo sie von morgens bis abends kocht und abwäscht. Sie ist Justizbeamtin und hat über mehrere Jahrzehnte im Amtsgericht in Berlin gearbeitet. Mein Vater hat sich mit 20 Jahren selbstständig gemacht als einer der allerersten türkischen Meisterglaser in Europa. Heute sucht man deutschlandweit verzweifelt nach Handwerkern mit solch einer Ausbildung. Ich bin ziemlich sicher, dass es auch in Frankreich Migrant*innen mit einem ähnlichen background gibt, und doch werden in filmischen Milieustudien immer wieder alte Klischees aufgegriffen und verarbeitet. Der junge, männliche, muslimische und frauenfeindliche Migrant, die junge, muslimische, heterosexuelle Migrantin, die insgeheim ja nur die wahre Liebe sucht, und die männlichen Taxifahrer mit Migrationshintergrund. Und was haben sie alle gemeinsam? Genau, sie alle können sich nicht richtig artikulieren und über die Taxifahrer darf man auch mal lachen.

Ob Volker Seitz wohl das Drehbuch mitgeschrieben hat? Bei den ganzen süffisanten Dialogen wäre es garnicht mal so abwegig. Und wie auch bei Türkisch für Anfänger wird die Protagonistin nicht von einer Schauspielerin vertreten, die den im Film thematisierten Migrationshintergrund hat.

Immer dann, wenn ich mitbekomme, dass ein Film versucht, die tragische Rolle von Migrant*innen in einer weißen Mehrheitsgesellschaft humoristisch zu thematisieren, löst es in mir ein fast schon einen Trauma-ähnlichen Zustand aus, den ich dank Werken wie Türkisch für Anfänger habe.

Denn jedesmal, wenn man sich über Minderheiten lustig macht und so den Ernst der Lage klein reden möchte, damit das Publikum bloß bei Laune gehalten werden kann, kriege ich das Kotzen. Zusätzlich muss ich mir dann auch noch das Lachen vom Publikum anhören. Als wäre es nicht schon entwürdigend genug, mir einen Film anzuschauen, der uns Migranten als zweitklassige Menschen deklariert. Dem Publikum scheint man offenbar die harte Realität des Lebens im Kino vorenthalten zu wollen.

Ist ja auch logisch, denn wer zahlt schon gerne 10-15 Euro für einen Kinofilm, nur um dann eventuell mit seinen eigenen fehlerhaften Denkmustern konfrontiert zu werden? So hinterlässt auch „Le Brio“ einen bitteren Nachgeschmack. Der tief verankerte Rassismus in Frankreich, der kollektiv vom Bildungsbürgertum verdrängt und verharmlost wird, wird hier in einer Komödie thematisiert, frei nach dem Motto, dass Migrant*innen ja doch in der Lage sind, etwas zu leisten, sofern die weiße Mehrheitsgesellschaft ihnen unter die Arme greift. Die systematische Diskriminierung, die Menschen wie Neïla ihr Leben lang erfahren müssen, wird hier nur am Rande aufgezeigt. Stattdessen rückt der männliche weiße Sprachvirtuose, dem es lediglich an Toleranz fehlt, in den Mittelpunkt.

Wieder einmal hat man es verpasst einen Film zu realisieren, mit dem man eventuell sogar außerhalb des Entertainment-Bubbles ein Umdenken bei einigen Menschen hätte erreichen können.

Und doch gibt es sie. Filme wie La Haine oder Intouchables, die bewiesen haben, dass Milieustudien im Kino auch anders gehen. Nämlich deutlich besser!


Beitragsbild :  Jeremy Yap on Unsplash
Bild 1 : https://filmkunstkinos.de/filme/die-brillante-mademoiselle-neila-2017/