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Leerstellen – Voids – warum finden sich auf Freiflächen häufig obszöne Zeichnungen?

Als Lehrkraft wundere ich mich schon lange darüber, wieso „Leerstellen“, also Freiflächen in und um Schulen, häufig innerhalb kürzester Zeit mit Obszönitäten – meist als Schmierereien bezeichnet – bedeckt werden. Am Kolleg konnte ich dieses Phänomen zuletzt im Durchgang von der Turmstraße zum Schulhof beobachten. Nachdem die Künstlerin Sophia Tabatadze im Rahmen der Ausstellung „Voids – Leerstellen“ im Oktober 2021 eine weiße Wandfläche für Kommentare anbot, erschienen dort sogleich obszöne Zeichnungen und zotige Kommentare.

Um die von Sophia zur Verfügung gestellte Freifläche sinnvoller zu füllen, beschlossen wir, im Zusatzkurs Journalistisches Schreiben über das Thema „Leerstellen“ zu schreiben. Alle sollten ihre Assoziationen zu „Leere“, „Leerstellen“, „Voids“ beschreiben, so lautete unser gemeinsamer Auftrag

Ich habe mir dabei sofort die Frage gestellt, warum Freiflächen, also Wände, Tische und Tafeln in Schulen (und im Kolleg) meist binnen kürzester Zeit mit Obszönitäten überzogen werden. Der folgende Text stellt den Versuch einer Antwort dar.

War einmal ein kleines Enzym, hat keinen Namen, war anonym

Warum zeigen Freiflächen, Tische, Tafeln und Wände in Schulen und am Berlin-Kolleg eigentlich so häufig Obszönitäten? Und warum ist das beherrschende Motiv dabei das männliche Geschlechtsorgan?

Eine Umschau unter möglichen Erklärungstheorien

Am letzten Schultag vor den großen Ferien stand im Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Pankow, wo ich zuvor arbeitete, für alle Schüler_innen und Lehrkräfte Putzen auf dem Stundenplan.

Zwei Oberstufenschülerinnen scheuerten gemeinsam mit mir an Tischkritzeleien von Schultischen herum. Phallus-Darstellungen – dieses Motiv machte uns besonders hartnäckig zu schaffen. Mit Permanent-Edding gezeichnet schien sich das männliche Geschlechtsorgan an Wänden, Tafeln und Toiletten serienmäßig fortzupflanzen.

„Wer will hier eigentlich wem andauernd seine Zeugungsfähigkeit beweisen?“, fragten wir uns, während wir die Putzlappen schwangen. „Angenommen, es handelt sich um Kunst, wie würden wir diese Kunstepoche nennen?“, fragte Anna*, Schülerin und Putzkollegin an diesem letzten Schultag vor den Sommerferien.

„Visueller Pubertismus? Phallismus? Penetrantismus? Neo-Primitivismus?“

Art is up for interpretation. In Umberto Ecos Aufsatz „Das offene Kunstwerk“ heißt es: „Kunst definiert sich im Auge des Betrachters immer wieder neu“. Wischlappen schwingend diskutierten wir darüber, ob Tischkritzeleien Kunst genannt werden könnten.

Handelt es sich nicht einfach nur um Reviermarkierungen von ‚Puber-Tieren‘? Und weiter gedacht: Besteht zwischen Reviermarkierungen und Kunst vielleicht gar kein so großer Unterschied? Immerhin wollen auch Kunstsammler_innen oft Potenz beweisen.

Machohafte Machtgesten oder subtile Subkultur-Kommentare? Wie sind diese teils phantasievoll gestalteten ‚Schul-Penisse‘ zu deuten?

Offensichtlich fasziniert das Phallus-Motiv in Wort und Bild, sonst würde es nicht überall auftauchen. Aber warum zeichnen und ritzen Schülerinnen und Schüler – möglicherweise sogar überall auf der Welt – zwanghaft immer wieder Phallussymbole auf ihr Schulmobiliar? Je länger wir an den Zeichnungen herumschrubbten, desto mehr Theorien fielen uns als Begründung dazu ein.

  • 1. Tabu-Theorie: Penisdarstellungen – ein provozierender Tabubruch.

Anders als nackte Frauenbrüste ist das männliche Geschlechtsorgan bislang wenig sichtbar im öffentlichen Raum. Auch die Werbung greift kaum explizit auf Penisdarstellungen zurück. Wolkenkratzer, Siegessäule – vieles, darunter auch viele Bauwerke erinnern oft mehr oder weniger deutlich an Phallussymbole. Anders als beim Frauenkörper findet eine systematische visuelle Ausbeutung des männlichen Geschlechtsorgans nicht statt in der ‚öffentlich‘ vertretenen Bildkultur. Penis-Zeichner(innen) in Schulen rühren an dieses visuelle Tabu und erzeugen mit dem Verstoß gegen das ungeschriebene Gesetz unserer Wahrnehmungsgewohnheiten mit minimalem Aufwand eine maximale Wirkung. Vielleicht ist diese sehr energie-ergonomische Provokation genau das, was Jugendliche suchen.

  • 2. Macho-Club-Theorie: Ist der ‚Schulpenis‘ ein Geheimzeichen für einen penetranten Macho-Club?

Etabliert sich hier ein para-militärischer Penetrationscorps? Wenn dem so sein sollte, dann ist eine „Gegendemonstration“ fällig, fordert die junge Putzkollegin Tabea*. „Es wäre interessant zu erfahren, was Männer empfinden, wenn Frauen überall paarungsbereite weibliche Geschlechtsorgane herumsprühen würden“.

Salopp formuliert ließe sich die Einschüchterungs- und Unterdrückungsabsicht so beschreiben: Wo er ihn auspackt, soll sie sich (warm) einpacken. Das Penissymbol soll anzeigen, dass der öffentliche Raum paarungsbereiten Männern gehört.

Symbolisiert das Penissymbol tatsächlich einen männlich-brutalen Macht- und Dominanzanspruch, so wäre die Totalverhüllung von Frauen eine nachvollziehbare Konsequenz. „Wer würde sich nicht gegen diesen Spermaregen mit einem Ganzkörperkondom schützen und zur Wehr setzen wollen?“, resümiert meine junge Putzkollegin Tabea.

Unpolitische oder harmlose ‚Schwanzsymbole‘ im öffentlichen Raum gibt wohl ebenso wenig wie es unpolitische oder harmlose Zeichnungen weiblicher Brüste oder Geschlechtsorgane gibt. Es sind Gesten der Verfügung und der Verfügbarkeit von Menschen über Menschen. In diesem Sinne gehören diese Zeichnungen auf jeden Fall abgeschrubbt, keine Frage.

  • 3. Aufklärungs- oder Katharsis-Theorie: Der Schulpenis wird aufgemalt, um weggewischt zu werden. Schwamm drüber. Das Verschwinden des Penis in der Putzlauge ist Teil einer selbstkritischen Erkenntnis.

Wer in Schulen obszön herumkritzelt, weiß, dass seine Zeichnungen – selbst wenn sie mit Permanent-Stift aufgebracht sind – nur temporär zu sehen sein werden. Entweder muss der Künstler/die Künstlerin, in flagranti erwischt, sein/ihr Werk gleich selbst wegwischen. Oder das Kunstwerk wird von anderen im Turnus einer Großreinigung zwangsläufig vernichtet. Es ist also eine Kunst, die im Bewusstsein entsteht, dass sie untergeht: Born to be cleaned. Hier liegt der Schluss nahe, dass es Teil dieser Kunst ist, vernichtet zu werden. Frei nach Marshal McLuhans Ausspruch „the medium is the message“ ist das Verschwinden der Schulpenisse schon bei ihrer Entstehung mitgedacht und beabsichtigt. Auch das Tafelbild (aus Kreide oder digital) wird nach einer Weile meist abgewischt und macht damit ganz bescheiden neuen Erkenntnissen Platz.

Die Botschaft der ‚Schul-Penisse‘ wäre also: Seht her, Kritzeleien von männlichen Geschlechtsorganen sind nur blöde Wand-Schmierereien. Flapsig formuliert könnte man sagen: ‚Wer mit dem Schwanz denkt, kommt nicht weit.‘

Die schulischen Penisdarstellungen könnten in dem Sinn also durchaus (auch) kritisch und (selbst-)ironisch gemeint sein, indem sie anzeigen, dass sich hier jemand über Männer und ihr protziges Potenzgebaren lustig macht.

Die große Macht der kleinen Leute kommt oft mit einem permanent-Edding daher.

Penis-Zeichnungen im schulischen Kontext entstehen dieser Theorie gemäß also im Vollbewusstsein ihrer Endlichkeit. Ohnehin wirken sie ja nur rasch hingeworfen und sind meist nur skizzenhaft ausgeführt. In dieser Anmutung ähneln sie der Fluxus-Kunst-Bewegung, die instant Effekte auslösen will, sich aber einer längerfristigen Wirkung und einer (musealen) Aufbereitung ganz bewusst entzieht. In Wahrheit also rufen Tischschmierereien den Betrachter gleich zur Reinigung auf, um falsches Bewusstsein triebgesteuerter Menschen aus der Welt zu wischen. Und ab damit.

  • 4. Die Hilfeschrei-Theorie:

Stellen die Peniszeichnungen einen Hilfeschrei dar? Fühlen sich Schülerinnen und Schüler in unserer Schule etwa so sehr an den Rand gedrängt mit ihrer Sexualität, dass sie sich über ihre sexuellen Bedürfnisse nur subkulturell- anonym auszudrücken wagen? Schade eigentlich, wenn dem so wäre. „Lieber armer anonymer Maler! Wie wäre es mal mit flirten?“ Vielleicht müsste man den Phalluskünstlern Nachhilfe geben und ihnen aufmunternde Botschaften neben ihre Zeichnungen schreiben?

  • 5. Die Verzweiflungs-Theorie ist eng verzahnt mit der Hilfeschrei-Theorie: Der Penis – verzweifelter Aufschrei gegen die Dominanz anderer Menschen (z.B. Frauen)?

Sind die Penisdarstellungen ein männlicher Hilfeschrei in einem für sie zu sehr von Frauen (z.B. klugen) dominierten Bildungsraum? Holen hier männliche Bildungsteilnehmer das Schwert heraus, um gegen intellektuell übermächtige Menschen (hier möglicherweise Frauen) anzukämpfen? Auch das wäre eine denkbare Deutung: Der hier allgegenwärtige Phallus implizierte dann einen ‚verzweifelten‘ männlichen Machtanspruch.

  • 6. Schulprotest-Theorie: Der allgegenwärtige „Schulpenis“ als provokativer Bildungsprotest.

Obszöne Zeichnungen verweisen auf ein pubertäres Potenzgebaren, das sich nicht einschüchtern lässt durch die ‚Bildungsaura‘ einer Schule. Für die meisten Lehrkräfte symbolisiert der mit Permanent Edding rasch hingeworfene Platzhirsch-Penis auf der Schulbank den pöbelhaften Ausstieg aus der schulischen Denk- und Lernkultur. Der Schulbank-Penis signalisiert: Was immer Thema sein soll im Unterricht, das wahre Thema ist immer „Sex“. Wo immer sich ein bisher nicht gedachter Gedanke auftut und sich – mitunter sogar bedrückend offene – Fragen stellen, wird nassforsch mit einem „fuck you“ (=„lass mich in Ruhe“) gekontert.

Lerntheoretisch eine durchaus verständliche Reaktion: Immerhin sind Lesen, Lernen, Verstehen anstrengende Vorgänge. Wer etwas Neues aufnimmt (oder aufnehmen soll), betritt gedanklich Räume, in denen sie/er bisher noch nicht war, Räume, die ihr/ihm fremd sind. Angesichts der Herausforderung, sich auf Unbekanntes, Fremdes und bisher nicht Gekanntes einzulassen, ist der Rückzug in die eigene Komfortzone – und das ist im Zweifelsfall der eigene Körper – nachvollziehbar. Wer etwas intellektuell nicht durchdringt und nicht mit Brainpower punktet, will zumindest seine Zeugungsfähigkeit bezeugen.

Dass gerade in Schulen Wände und Tische mit obszönen Darstellungen versehen werden, verweist damit auf intellektuelle Überforderung und Überdruss. Jugendliche im ersten Bildungsweg, die feststellen, dass sie oder er die in der Schule vermittelten Angebote ablehnen, sind ja auch mitunter nicht frei, ihren Unmut offen zu äußern oder danach zu handeln und die Schule zu verlassen. Zu stark ist der Druck von Eltern und zu abwegig die Argumentation, die wenig konstruktiv auf „keine Lust“ fußt. Und da sich Jugendliche nicht so einfach selbständig abmelden und erhobenen Hauptes woanders hingehen können, fühlen sie sich in die Subkultur gedrängt und verleihen ihrer Sehnsucht und ihrem Verlangen nach Autonomie mit einem sublimen „fuck you“ Ausdruck. „Lasst mich in Ruhe“ – „Fuck you“ – „Mit eurer Idee von Schule steht ihr allein da, ich teile sie nicht.“

Warum sich Erwachsene im Kolleg dieser obszönen subkulturellen Ausdrucksweise bedienen, das erschließt sich mir nicht. Denn Kollegiat_innen haben sich freiwillig auf den zweiten Bildungsweg begeben. Sie könnten sich als Erwachsene jederzeit erhobenen Hauptes abmelden, die Schule verlassen und andere Wege gehen.

(Foto: M.B.)
  • 7. Potenz-Beschwörungstheorie:

Auf den beige-braunen Oberflächen von Schultischen erinnern die hier gezeichneten Phalli an die vor mehr als 10 000 Jahren entstandenen Höhlenmalereien. Im französischen Lascaux im Departement Perigord sind Mammuts an die Höhlenwand gebannt. Symbolisch eingefangen sollen sie – magisch – das Jagdglück heraufbeschwören. Dies jedenfalls ist eine mögliche Deutung. Auch der obsessive ‚Schwanzmaler‘ von heute wünscht sich vielleicht analog zu dieser Theorie einfach ein bisschen mehr Jagdglück, sprich: mehr erotische Erfolge. Dazu passt die oft übersteigerte Größe des männlichen Geschlechtsorgans: Ein auf eine Schulbank aufgemalter Penis überragt leichterdings z.B. ein Haus.

  • 8. Anonymitätstheorie: Anonym sind wir tierisch gern Tier.

Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Wo eine Autorität fehlt, kommt gleich ein Schwanz daher. Warum? War einmal ein kleines Enzym, hat keinen Namen, war anonym. Ein Enzym bringt Prozesse in Gang, ohne sich dabei selbst zu verändern. Dies trifft vielleicht auch auf diese Penis-Zeichnungen zu. Sie sind anonym, niemand will (oder kann) dafür mit seinem Namen geradestehen, gleichzeitig setzten sie aber mitunter viel in Gang.

Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts. Menschen legen, wenn sie namenlos auftreten, schnell ihr menschliches Selbstbewusstsein ab und zeigen sich tierisch triebgesteuert. „Der Mensch ist das Tier, das sich selbst Regeln gibt“, sagt der Philosoph Kant. Wände und Bänke in Schulen zeigen, dass der Mensch diese Regeln, sobald gerade keiner hinschaut, rasch vergessen und zum Tier mutieren kann.

Gemäß dieser Theorie sollte man diese Zeichnungen am besten aus der Grauzone ihrer subkulturellen Anonymität herausreißen. Man sollte die Schmierereien also nicht vernichten, sondern sie im Gegenteil als Kunstwerke deklarieren und mit den Namen der Künstler_innen versehen ausstellen. Einmal in die Hochkultur aufgenommen, wäre das provokative Potenzgebaren fortan nicht mehr für die Subkultur zu gebrauchen.

  • 9. Körperfeindlichkeitstheorie: Wird der Schulpenis als Protest gegen die Körperfeindlichkeit unserer Schulen aufgemalt?

Vielleicht hat die massenhafte Darstellung des Penis unterschwellig auch etwas damit zu tun, dass viele Schulgebäude körperfeindlich sind. Lange Wege zur Toilette, schlecht durchlüftete Räume, eine nervtötende Akustik, wenig Möglichkeiten, den eigenen Bedürfnissen gemäß etwas zu trinken oder zu essen. Wer kennt sie nicht, die lähmende Schul-Langeweile, das Gefühl, einbetoniert zu sein, das grausame Still-sitzen-müssen? Vielleicht will sich mit dem Fortpflanzungsorgan hier auf der Schulbank das in der Schule Unterdrückte, das Freudsche „Es“, einen Weg bahnen? Vielleicht wird hier – bewusst oder unbewusst – dagegen protestiert, dass während der Unterrichtszeit menschliche Grundbedürfnisse wie Essen, Schlafen und der Sexualtrieb zeitweise unterdrückt werden? Das Unbehagen an der Kultur lässt grüßen.

  • 10. Die demokratische Ganzheitlichkeits-Theorie: Ist der „Schulpenis“ eine Demonstration für eine demokratische und ganzheitliche körperbezogene Alltagskunst

Seit dem 19. und mehr noch im 20. Jahrhundert wird Kunst vom hohen Sockel heruntergestoßen. Schaut Friedrich der Große unter den Linden (seit Mitte des 19. Jahrhunderts) noch knapp 14 Meter hoch von seinem Pferd auf den Betrachter herunter, nutzt die Arte Povera (wörtlich: Arme Kunst) gut hundert Jahre später in den 1960er Jahren alle Arten von Alltagsmaterialien und durchdringt Alltagsräume. Wie die Bodenplatten aus Stahl von Carl Andre bildet Kunst nun selbst den Boden – den „Sockel“ – für den kunstliebenden Betrachter. Dieser kann sich selbst oder was immer er will, auf den Sockel stellen und zur Kunst erheben. Mit etwas Phantasie könnte man all dies auf den in unseren Schulräumen allgegenwärtigen Phallus beziehen und ihn als eine Kunst-Geste im Stil der Arte Povera deuten. Der Phallus signalisiert also: Nicht irgendwas oder irgendwer, sondern wir selbst sind die Kunst! Unser Körper ist Kunst! Penis ist Kunst. Potenz ist Kunst. Der Phallus in diesem Kontext ermahnt uns: „Denkt nicht nur mit dem Kopf, denkt ganzheitlich“.

(Foto: M.B.)
  • 11. Verewigungstheorie: Und alle Lust will Ewigkeit? Will der aufgemalte Penis ein Mahnmal für Libido sein und der flüchtigen Lust eine kleine Ewigkeit verleihen?

Wer schreibt, der bleibt, heißt es. Wird hier das männliche Geschlechtsorgan an die Wand ‚geschrieben‘, um dem Moment der Lust eine kleine Ewigkeit zu verleihen? Prägt hier jemand, der die Welt mit seinem Intellekt zu prägen (noch) nicht in der Lage ist, seine Umgebung stattdessen auf eine lustvolle Weise mit seinem Geschlechtsorgan?

  • 12. Veredelungsthese:

Die mit dem Penissymbol gelabelten oder ‚gezinkten‘ Schulmöbel könnten durch den Penis auch gleichsam „veredelt“ und auf diese Weise aufgewertet. Dieser Theorie gemäß wäre der Penis also das, was ein Label – z.B. Hilfiger – auf einem Kleidungsstück bedeutet. Welcome to the Club of the Reviermarkierer.

Was also ist nun das Fazit dieser Umschau? Worin besteht die message des Schulpenis? Sicher hängt dies auch hier vom Betrachter ab. Ob der Penis unser Schulmobiliar zur Sub-Kultur herabzieht und Verweigerung ausdrückt oder ob die pubertäre Markierung das profane Material, die Wand oder die Schulbank „adelt“, das bestimmen also letztlich wir, die wir uns diese Zeichnungen anschauen.

Reviermarkierungen oder respektable Kunstäußerungen? Art is up for interpretation.

Welche Deutung auch immer zutrifft, für den schulöffentlichen Raum gilt, dass wir ihn für Menschen, die sich von der sexuell aufgeladenen Bildlichkeit belästigt fühlen und die es befremdlich finden, sich in so einer Umgebung aufhalten zu müssen, möglichst diskriminierungsfrei gestalten.

„Fuck you“, für diese Botschaft ist nicht jede(r) jederzeit empfänglich. Schule muss ein neutraler Raum sein, ein Raum, in dem man nicht von penetranten Sexvorstellungen belästigt wird.

Der Schul-Penis in seiner hier seriell anzutreffenden skizzenhaften Ausgestaltung kann daher – solange sich die Autoren nicht dazu bekennen und ihrer Tischmalerei dadurch eine kritische oder selbst-kritische Wirkung verleihen – im Kontext unserer Schule so nicht als Kunst aufgefasst werden.

Schade eigentlich, dass unsere gemeinsame Überzeugung am Ende des Putztages lautete: Weg mit den Penis-Kritzeleien. Schwamm drüber. Die ein oder andere Zeichnung hatte für uns durchaus Kunst-Charakter.

„Unser Putzen ist aber dennoch nicht wirklich kunstfeindlich“, resümierte Tabea. „Wir schaffen ja Platz für neue Tischkritzeleien“. (ben)

Schwert, Siegessäule, Schlagstock wütender Männer, Brüder, Onkel, Väter? Spargel im Kräuterbeet? Gurke, neu angerichtet? Was will sich hier fortpflanzen?


(Foto: M.B.)

Ferienzeit ist Reinigungszeit. Weg also mit den Tischkritzeleien.

Vielleicht schreibe ich beim nächsten Mal etwas über Kaugummis, die unter die Tische geklebt wurden.

*Die beiden Oberstufenschülerinnen ziehen es bei diesem leicht missverständlichen Thema lieber vor, nicht als Autorinnen aufzutreten und ihren wahren Namen außen vor zu lassen.

(Foto, M.B.)
(Foto, M.B.)

Überall zu sehen, aber dennoch tabu, der Phallus. Hier als Wandbild (Foto, M.B.)