Im Rahmen einer Portraitreihe treffe ich die ehemalige Kollegiatin Ezdehar Adila. Eine Begegnung mit einer Frau, die ihre Ansprüche an sich selbst hoch ansetzt. Ein Porträt von Sophie W.
Vor der Bibliothek neben der BHT Berlin treffe ich Ezdehar, die gerade von einer Vorlesung kommt. Sie kommt etwas zurückhaltend auf mich zu, kleine Statur, rosa Kopftuch, weiße Turnschuhe. Sie studiert hier Bauingenieurwesen, mittlerweile im dritten Semester. Das hätte sie selbst früher nicht gedacht, als sie jünger war, wollte sie eigentlich Jura studieren, erklärt sie mir, während wir uns eine ruhige Ecke zwischen den vielen Studierenden suchen. Sie kennt sich hier aus, grüßt die Bibliothekarin, winkt einer Gruppe junger Frauen durchs Fenster zu. Als wir uns setzen und ich die Audioaufnahme starte, wird sie kurz unsicher. Rechtswesen habe sie schon immer fasziniert, vor allem wie viel Gewichtung der Sprache dabei gegeben wird. Aber genau da liegt auch das Problem, ihrem Deutsch habe sie das einfach nicht zugetraut. Dabei ist keine Reue oder Bitterkeit in ihrer Stimme, im Gegenteil. Sie habe sich einfach nach anderen Möglichkeiten umgesehen, fand schließlich den Studiengang Bauingenieurwesen. „Meine Kurse sind wirklich spannend“ sagt Ezdehar. „Ich achte jetzt viel mehr auf Architektur, auf die Bauweise der Gebäude, die verwendeten Materialien, die Statik und sowas“. Bei den Schilderungen von ihrem Studium wirkt sie zunehmend selbstbewusster. Sie erzählt mir stolz, dass sie zuletzt als Einzige ihres Kurses eine mathematische Arbeit im Fach „Technische Mechanik II“ bestanden habe.
Mathe – für Ezdi kein „Angstfach“
Bei der Wahl für ihren Studiengang spielte Mathematik eine große Rolle für Ezdehar. Sie ist noch nicht lange in Deutschland, als sie ans Berlin Kolleg kommt, um ihr Abitur zu machen. Im Vorkurs kämpft sie zu Beginn mit der deutschen Sprache. „Ich habe in keinem Fach was verstanden, einfach weil mein Deutsch anfangs noch nicht so gut war“. Die mathematischen Aufgabenstellungen aber funktionieren auch ohne sprachlichen Impuls. Das gibt ihr den Mut, weiterzumachen. Wenn sie etwas nicht versteht, fragt sie so lange nach, bis sie alles verstanden hat. Herr Falke, ihr Mathelehrer aus dem Vorkurs, erinnert sich, sie sei immer sehr ehrgeizig gewesen, habe oft mehr Hausaufgaben gemacht als gefordert. Dabei sei sie nie frustriert gewesen, wenn es nicht gleich klappte, sondern habe es mit einer einnehmend positiven Art immer weiter versucht. Mit den ersten Erfolgen wächst ihr Selbstbewusstsein und auch ihr Anspruch an sich selbst. Als Leistungskurs wählt sie schließlich Mathematik.
Wieder zur Schule, keine Selbstverständlichkeit
Den Mut zu finden, sich der Schule wieder zu stellen, war ein langer Weg für Ezdehar. In ihrem Heimatland Syrien starb ihre beste Freundin und deren Familie, als ihr Haus von einer Bombe getroffen wurde. „Davor haben wir alles gemeinsam gemacht, wir waren jeden Tag zusammen“. Danach will sie lange nicht mehr zur Schule, kann sich auf nichts mehr konzentrieren. Sie flieht mit ihrer Familie nach Ägypten, wo ihre Mutter sie schließlich zwingt, wieder zur Schule zu gehen. Es war ein täglicher Kampf, aber heute ist sie ihr dankbar. „Ohne meine Mutter wäre ich da nie mehr hingegangen, sie unterstützt mich bis heute bei allem, was ich tue.“ In Ägypten ist das Schulsystem anders als in Syrien, Ezdehar versteht das ägyptische Arabisch nur schlecht. Trotzdem schließt sie die zehnte Klasse dort ab, die Mittlere Reife wird ihr später in Deutschland anerkannt. Wieder ein Umzug, eine neue Umgebung, eine neue Wohnung. Da bleibt wenig Ruhe zum Lernen. Als älteste Schwester unterstützt sie ihre Eltern im Haushalt und ihre jüngeren Geschwister bei den Hausaufgaben. Sie sagt, dass sei für sie selbstverständlich, sie will weder ihr Studium noch ihr Familienleben dem jeweils anderen unterordnen.
Für die Zukunft wünscht sie sich eine eigene Familie. Wenn sie später einmal eigene Kinder hat, wolle sie trotzdem weiter eine Arbeit ausüben: „Ich glaube, sonst wird mir langweilig. Vielleicht lerne ich später auch noch einen neuen Beruf.“
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