»Man sollte weniger fliegen«, ist eine vieler Antworten auf die Frage eines klimagerechten Lebensstils. Ein jeder von uns weiß es und wir machen es trotzdem ganz bewusst – Reisen. Ein Thema, welches im Aspekt des Klimawandels stark polarisiert, denn durch die Nutzung der entsprechenden Transportmittel belasten wir auch unsere Umwelt. Dennoch haben wir das Gefühl, dass das Reisen in unserer Gesellschaft eine Sonderstellung genießt. So scheint es uns gar unrealistisch, einer unserer Bekannten könne beim Anschauen der schönen Urlaubsbilder die Folgen der CO2-Emission ansprechen. Also was nun?
»Umweltverschmutzung« oder »mich selbst kennenlernen«?
Auf dem diesjährigen Sommerfest des Berlin-Kollegs legte der Kurs »Journalistisches Schreiben« gelbe Zettel mit verschiedenen fettgedruckten Begriffen aus: Heimat, Identität, Sexismus, Mut, Reichtum, Mental Health, Kolleg, Turmgespräche und Reise. Selbstbestimmt konnten die Kollegiat*innen ihre eigenen Gedanken und Meinungen dazu aufschreiben.
»Beides stimmt«, lacht David, 25, aus der Q3 des Berlin Kollegs. »Wenn man nicht gerade vor hat, ferne Orte mit dem Fahrrad oder Paddelboot zu bereisen, steht das natürlich immer im Konflikt zu einem umweltfreundlichen Lebensstil.«
Ein Jahr ist es nun her, als David sich entschied, von Augsburg nach Berlin zu ziehen. Hier möchte er sein bereits in Augsburg angefangenes Abitur abschließen und dann endlich reisen – ein langersehnter Traum.
David: Ich war schon in Bosnien und Israel, um meine Familie zu besuchen. Das war mir auch wegen meiner Herkunft enorm wichtig. Aber meine nächste Reise soll nur für mich selbst sein. Ich möchte mir selbst ein Bild von der Welt machen und das nicht nur im Fernsehen sehen oder in Schulbüchern lesen, sondern es erleben.
»Erleben« bedeutet für David in die Kultur und Natur eines Landes für einige Zeit einzutauchen. Er könne sich auch vorstellen, eine neue Sprache zu lernen. Zwar erfordere es Mut und man müsse sich einigen Problemen stellen, jedoch stehe es nicht im Verhältnis zu dem persönlichen Reichtum, den man durchs Reisen gewinnt.
David: Ich denke, für jeden von uns ist es wichtig, öfter mal wegzufahren. Durch Reisen gelangt man an neue Orte, die auch neue Perspektiven mit sich bringen. Durch den Abstand durchbricht man seine Routine und es kommen einem plötzlich ganz neue Lösungsansätze und Ideen in den Kopf. Außerdem lernt man die Welt und auch sich selbst besser kennen, was zu ganz neuen politischen und persönlichen Entscheidungen führen kann.« Auch Reiseleiter und Philosoph Peter Vollbrecht von «Zeit Reisen” sieht klare Vorteile im Reisen:
Vollbrecht: Reisen bedeutet eine immer wieder frisch ersehnte andere Möglichkeit des Daseins und eine Begegnung mit sich selbst – im Spiegel der Anderen. Kurzum: Reisen ist eine Nahrung für die Seele. […] Wir sind immer Reisende in unserem Leben, und wir leben nicht nur eingepasst in eine Umwelt, sondern wir sind weltoffen. Zu dieser Weltoffenheit gehört das Ändern, das Erkunden, das Einrichten von Welten —und genau das geschieht beim Reisen. […] Es kann vorkommen, dass man etwas erlebt, was einem überhaupt nicht gefällt. Aber auch darin steckt der Keim eines Lernprozesses.
Auch wenn Vollbrecht in arrangierten Kulturreisen den Vorteil sieht, dass diese sachkundig geführt werden, motiviert er zu dem Entwicklungsprozess, welcher durch das Reisen auf »eigene Faust« aufkommt.
Vollbrecht: Man kommt irgendwo an, kennt die Topografie der Stadt nicht, […] findet sich zurecht, sucht sein Hotel, stellt die Sachen ab und macht einen ersten Erkundungsgang durch den neuen Ort. Wenn man diesen Orientierungsprozess auf eigene Faust unternimmt, dann kann man dabei in einen ungemein intensiven inneren Monolog mit sich selbst gelangen. Man baut sich in Gedanken eine Orientierungskarte zusammen, findet sich mit der Zeit immer besser zurecht, und so langsam wird man dann ein wenig heimisch in der neuen Umgebung. Das ist spannend. Dieser Prozess ist unterbunden, wenn man ihn nicht individuell macht, sondern in einem Arrangement vom Reiseveranstalter geboten bekommt.
Dennoch – egal ob »All-inclusive-Hotelblocks« oder eine selbst-geplante Abenteuerreise, Peter Vollbrecht ist fest davon überzeugt, dass uns jegliche Art von Reisen gut tut, solange der Computer zuhause bleibt. Auch für David kommt keine »0815-All-inclusive-Reise« in Frage. Zudem sollte sich der CO2-Verbrauch für die Reise lohnen und dafür in allen anderen Bereichen nachhaltig gehandelt werden.
David: Um mir etwas wie z.B. das Reisen selbst vertretbar zu machen, versuche ich in alle anderen Richtungen zu sparen. Ich lebe seit langer Zeit vegetarisch und habe kein Auto, sondern nutze meistens öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad. Instagramer, die von Ort zu Ort fliegen, um sich in den schönsten Hotels darzustellen, kann ich nicht gutheißen. Sowas finde ich unangemessen und es hat für mich wenig mit Reisen zu tun. Man muss schon schauen, dass alles im Verhältnis steht und wenn es das tut, ist das Reisen aus meiner Sicht auch vollkommen legitim. Trotzdem finde ich es gut, dass so viele an unserer Schule auf die Umwelt hier hinweisen. Sollte ich jedoch in ein paar Jahren nochmal etwas auf diesen Zettel schreiben, wäre es wohl etwas ganz neues und anderes – und zwar weil ich mich durch meine Reisen neu entwickeln konnte.
David ist sich sicher: um sich eine perspektivenreiche Meinung zu den Begriffen der gelben Zettel zu bilden, ist Reisen ein wichtiger Schritt, im Leben eines Jeden. Schließend zu dem Interview weist David darauf hin, sich vor der Planung einer Reise im Internet zu informieren.
Vollbrecht: Das ganze Unglück eines Menschen rührt von seiner Unfähigkeit, ruhig in seinem Zimmer zu bleiben […] Ohne Veränderung verkümmert unser Hirn und Körper. Eine monotone Umgebung, eintönige, regelmäßige Aktivitäten und geringe körperliche Anforderungen führen zu Verhaltensweisen, die nervöse Verstimmung und Apathie hervorrufen. Es scheint kaum verwunderlich, dass eine Generation, die sich mit Zentralheizung vor Kälte und Klimaanlage vor Wärme schützt, die in Transportmitteln von einem geschlossenen Raum zum nächsten fährt, das Bedürfnis nach Reisen empfindet.
Hier ein paar Empfehlungen für die klimaverträgliche Urlaubsplanung:
- Möglichst kurze Anreisestrecke
- Wenn möglich, Anreise mit Bus oder Bahn
- Vor Ort die Region emissionsfrei per Rad oder zu Fuß erkunden
- Urlaubsregionen mit gutem öffentlichen Verkehrsangebot vorziehen, Car-Sharing-Angebote prüfen
- Bei der Wahl der Unterkunft auf Energiesparmaßnahmen, Ökosiegel und bio bzw. regionale oder auch vegetarische Küche achten
- Schlussendlich ist es jedem selbst überlassen, ob er reist, wie viel und wohin. Die Worte des Schriftstellers Bruce Chatwin zeigen uns auch nur, dass es wichtig ist uns ab und zu mit neuen Eindrücken zu bereichern. Ob das nun Australien oder der Wannsee ist
Quellen:
http://www.philosophisches-forum.de/Essays_Artikel/Interview_Psychologie_heute/interview_psychologie_heute.html
https://zeitreisen.zeit.de/menschen/dr-peter-vollbrecht/
https://www.auswaertiges-amt.de/blob/256682/dd503817ce57816eca3b16e37076b507/abstract-zschocke-data.pdf
https://www.auswaertiges-amt.de/blob/256682/dd503817ce57816eca3b16e37076b507/abstract-zschocke-data.pdf
Bild Quelle:
https://i.pinimg.com/564x/e7/2c/7c/e72c7c0531901fab78a3ae40fa503643.jpg