Es ist Mittwochvormittag, die Sonne scheint an einem wolkenlosen Himmel, als ich in der Schönhauser Allee ankomme. Auf dem Weg zu Alexanders Wohnung kommt mir immer wieder der Gedanke, dass diese Wohnumgebung zu ihm passt wie die Faust aufs Auge. Es herrscht Kiez-Feeling – relaxed, fröhlich, energetisch. Ein Vibe, der einige seiner Charaktereigenschaften sehr gut widerspiegelt. Ich habe ihn schon seit einer Weile nicht mehr gesehen, um genau zu sein, seit den Sommerferien 2022. Das ist auch das Jahr, in welchem er sein Abitur abgeschlossen hat. Daher freue ich mich sehr, wieder mit ihm zu plaudern, zu lachen und einfach Zeit zu verbringen.
Bei ihm angekommen merke ich, dass er nun „nur“ noch mit seinem Freund/Partner zusammenlebt, ohne Mitbewohner:in, ein Upgrade zu den Wohnumständen in seiner alten Wohnung, wie er vermerkt. Von ihm aus gehen wir beide los, bummeln in Second-Hand Kleiderläden. Während des Einkaufens, etwas, das er ganz gerne mal macht, erzählt er ein wenig zu seiner beruflichen Laufbahn, die nach dem Beenden der Realschule in Bayern beginnt. Seine erste Ausbildung zum Bürokaufmann schließt er zwar ab, aber er weiß schon während seiner Ausbildungszeit, dass er in diesem Beruf nicht arbeiten möchte, sondern nur etwas Begonnenes beenden möchte. Eine Einstellung, die ihn ausmacht und die für ihn wichtig ist.
Tapetenwechsel I: Alexander in der Modebranche und am Kolleg
Eigentlich will Alexander aber schon immer Schneider werden, modisches Interesse war bis dahin stetig vorhanden und ein essenzieller Faktor hinter seinem Eintritt in einen Modeberuf. In einem seiner Nähkurse, an denen er regelmäßig teilnimmt, rät ihm die Nähkursleiterin von einer Schneiderausbildung ab und legt ihm Modedesign ans Herz, da ihm dieser Berufszweig deutlich mehr kreativen Freiraum verspricht.
Damals wohnt er noch in Rosenheim, Bayern und bewirbt sich dort an mehreren Modeschulen. Durch einen Zufall jedoch kommt er im Jahr 2011 nach Berlin und beginnt hier seine Modedesignausbildung. Für ihn sind diese drei Jahre mit die schönsten Jahre seines Lebens, da er sich einerseits kreativ komplett entfalten kann und andererseits wundervolle Menschen kennenlernt. Nach Beendigung seiner Ausbildung findet Alexander zuerst Anstellung bei einem Berliner Label, als Designer für die Herrenkollektion. Von da aus geht es für ihn über München nach Stuttgart, wo er mit einem Kollegen einen Laden eröffnet, der sich auf Luxuskleidung spezialisiert. Für ihn ein wichtiger Schritt, der es ihm ermöglicht, weiterhin direkt mit Kunden, mit Kleidung und deren Schnitten sowie Stoffen direkt am Kunden zu arbeiten und nicht wie vorher in München im Produktmanagement. In der vorherigen Anstellung als Produktmanager in München fehlt ihm dieser Kontakt zum Material und zu den Menschen, da vieles über die Organisation am Computer gehandhabt wird. Nach drei Jahren in Stuttgart ist für ihn dann auch dort Schluss, wie er mir sagt habe er „Alles gesehen, was es zu sehen gab“. Gleichzeitig sehnt er sich auch wieder nach einem Leben in Berlin und erfährt über Freunde, dass er sein Abitur nachholen kann. Ein Wunsch, der ihn schon länger begleitet.
Für ihn beginnt dann mit seiner Anmeldung und Aufnahme am Berlin-Kolleg ein neuer Lebensabschnitt. Als „schön“ und „intensiv“ beschreibt Alexander seine Zeit hier am BK, denn er ist hier jeden Tag mit Freude zur Schule gekommen. Selbst auf Nachfrage hin kann oder will er mir keine wirklich negativen Erfahrungen nennen. Für ihn ist das Kennenlernen neuer interessanter Menschen wunderbar und das Lernen etwas Bereicherndes, was ihm zum gewünschten Abschluss verhilft.
Tapetenwechsel II: Auszeit
Jetzt, wo er seinen Abschluss in der Tasche hat, gönnt es sich ein wenig Pause und Erholung von der Schule und dem dazugehörigen Stress. Einen festen Plan für das nächste Jahr gibt es noch nicht; was er jedoch schon weiß, ist, dass er später mal im Süden wohnen bzw. leben möchte. Und damit ist nicht Süddeutschland gemeint, sondern ein wärmeres Klima. Kanarische Inseln? Er ist sich noch nicht sicher. In Berlin will er jedoch nicht bleiben, für einen Weile war es „cool“, aber das sei es dann auch gewesen.
Seit dem Schulabschluss am BK kann sich Alexander auch wieder seinen alten und neuen Hobbys widmen. Lesen war für ihn schon immer ein toller und angenehmer „Zeitvertreib“, eine Beschäftigung, die er schon sein Leben lang liebt, wie er zugibt. Für ihn immer relevanter werden Tätigkeiten rund ums Gärtnern, Pflanzen gibt es zuhauf in seiner Wohnung. So viele sogar, dass er mittlerweile eine Menge davon im Treppenhaus unterbringt. Neuerdings findet man Alexander wieder vermehrt auf Kräuterwanderungen, eine Aktivität, die er während seiner Zeit am Kolleg zeitweise aufgibt. Neu entdeckt hat er für sich das Pilzesammeln, wenn auch nur als Begleitung. Denn wie er selbst zugibt, habe er wenig Ahnung von der Thematik. Was im Verlauf des Interviews immer mehr durchscheint, ist seine Liebe zur Natur. Er wandert liebend gern und genießt es, draußen unterwegs zu sein.
Alexander als Mensch und wie es bei ihm beruflich weitergeht
Menschlich findet Alexander es sehr wichtig, dass man seinem Gegenüber mit Respekt begegnet, dem anderen Platz in Konversationen lässt und nicht den ganzen Raum für sich beansprucht. Er selbst ist eher ein ruhiger, nachdenklicher Mensch und ein großer Fan von Humor. Die ruhige Persönlichkeit findet sich auch in seinen Hobbys wieder: Lesen, Wandern, Gärtnern. Das trifft auch auf den nachdenklichen Aspekt seines Charakters zu; er mag es, Zeit für sich zu haben und einfach mal über Dinge nachzudenken. Er hat Freude am Lernen neuer Fähigkeiten und neuen Wissens, trifft sich so gerne mit Leuten, dass er permanent unterwegs ist. Alles in allem beschreiben ihn nach meinem Eindruck die Eigenschaften, Lebensfreude, Aufgeschlossenheit, Vielseitigkeit und Interessenfreudigkeit wohl am besten.
Für das kommende Jahr möchte er sich Zeit für sich nehmen, denn momentan ist er sehr daran interessiert, einen Job bis zur Aufnahme eines Studiums zu finden. Zwei mögliche Projekte hat er sich schon herausgesucht: ein Unternehmen, das aus alpinen Kräutern Naturkosmetik herstellt oder ein Projekt, welches in Kindergärten und Schulen Kindern beibringt, wie man selbst Gemüse anbaut. Wenn es um das Thema Studium geht, ist er noch ein wenig zwiegespalten, denn Alexander kann sich bisher nicht zwischen Nachhaltigkeit und Kulturwissenschaften entscheiden. Beides sind zwei sehr große Interessenbereiche in seinem Leben, wobei ich im Laufe des Interviews immer mehr den Eindruck gewinne, dass für ihn Nachhaltigkeit nicht nur ein berufliches Interesse darstellt, sondern dass auch [ein] großes privates Verlangen danach besteht. Was er definitiv weiß, ist, dass er nicht zurück in einen reinen Modeberuf möchte, denn die in der Modewelt vorherrschenden Werte entsprechen ihm eher weniger.
Seinen Weg wird er finden und so wie ich ihn kenne, wird er seinen neuen Lebensabschnitt mit genau so viel Freude beschreiten, wie er es bisher getan hat.