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Wir Kollegiat*innen: Spyros (Teil 1 von 7)

Spyros – ein Mann, der beweist, dass man keine Angst vor Turbulenzen haben muss

Spyros hat die Welt gesehen. Nach seiner Schulzeit arbeitet er als Flugbegleiter und hat so die Möglichkeit, verschiedenste Länder und deren Kulturen kennenzulernen. Das klingt nach einem Traumberuf – und in diesem war Spyros auch sehr erfolgreich. Die längste Zeit seiner Karriere kümmert sich Spyros als Chefsteward um das Wohlergehen seiner Fluggäste und muss so auch mit den anspruchsvollsten Situationen umgehen. Wie kommt er also dazu, eine solch abwechslungsreiche Karriere zu beenden und seinen Lebensmittelpunkt komplett nach Berlin zu verlegen? Ganz einfach – obwohl er Orte bereist hat, von denen andere nur träumen, kann er seine nächsten Ziele nur am Boden erreichen.

Früher wacht Spyros fast jeden Tag in einem anderen Land auf. Das genießt er zwar, insbesondere Amerika fasziniert ihn immer wieder neu, mit der Zeit wächst in ihm allerdings der Wunsch nach Struktur. Partnerschaften zu führen kann als Flugbegleiter herausfordernd sein. Natürlich, teilweise sieht man sich nur einmal wöchentlich. Außerdem will er sich endlich einen weiteren großen Traum erfüllen: einem Vierbeiner ein Zuhause zu geben. Und so kommt es, dass er anstatt von Jetlags mittlerweile hauptsächlich von seinem Hund Igor auf Trab gehalten wird. Trotzdem befindet sich Spyros auch heute nicht im Stillstand. Er hat nun die Zeit, sich seinem nächsten großen Ziel zu widmen: er möchte an der Universität studieren.

Genau wie für Spyros ist das auch für viele Erwachsene der Hauptgrund, sich an einem Kolleg anzumelden und den dreijährigen Weg bis zum Erlangen des Abiturs zu gehen. Das bestätigen auch die KollegiatInnen des Berlin-Kolleg in einer hausinternen Befragung, die von den BK Journalist:innen im Frühjahr 2023 durchgeführt wurde, als primären Grund, warum sie das Abitur anstreben:

Spyros hat sich vorgenommen, Geschichte studieren zu wollen. Dazu haben ihn vor allem seine Reisen, und die politischen Konflikte in diesen Ländern inspiriert.

Doch Spyros‘ Interesse für andere Sprachen und Kulturen zeigt sich schon vor seiner Zeit als Flugbegleiter. Bevor er als Chefsteward Karriere macht, arbeitet er als Fremdsprachenkorrespondent in einem internationalen Konzern in Frankfurt am Main. Man würde vermuten, dass es ihn schon immer in die weite Welt zog – oder musste er vor etwas davonlaufen?

Spyros wächst ländlich gelegen in Hessen auf. Er ist intelligent und hat kaum Probleme mit dem Schulstoff. Trotzdem kann er die Schule und sein Elternhaus gar nicht schnell genug verlassen. In den Neunziger Jahren hat man es allzu oft nicht leicht, wenn man schwul ist. Erst recht nicht in einer Kleinstadt und mit konservativen Eltern. Trotz des Mobbings, das Spyros erfahren muss, verstellt er sich nie. Das aber macht ein Ausbrechen aus diesem Kreislauf früher oder später unvermeidlich. SchülerInnen, die wie Spyros die Schule aufgrund negativer persönlicher Erfahrungen als Lernort verlassen müssen und deswegen die allgemeine Hochschulreife nicht auf dem ersten Bildungsweg erreichen, sind keine Seltenheit. Kombiniert sich das, wie in Spyros‘ Fall, auch noch mit dem Bedürfnis, in eine eigene Wohnung zu ziehen, wird das Verlassen der Schule ohne Abitur immer wahrscheinlicher. Genau dieses Ergebnis zeigt auch eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2019 auf, die sich mit „Bildungsverläufen an Abendgymnasien und Kollegs“ beschäftigt.

„Zuhause hatte ich Angst, in der Schule hatte ich Angst. Ich war in einem ständigen Angstzustand und
musste da einfach raus.“

Spyros, Kollegiat am Berlin kolleg im Frühjahr 2023

Spyros landet am Berlin-Kolleg

Und so zieht es Spyros damals nach Frankfurt am Main, später nach Berlin, einmal um die Welt und nun ans Berlin-Kolleg. Hier führt er seine Erfolgsgeschichte fort. Für das Nachholen seines Abiturs erhält er sogar ein Stipendium. Dafür braucht man zwar einen gewissen Notendurchschnitt, davon abgesehen konnte Spyros aber auch bei der Vergabe des Stipendiums mit seiner Lebensgeschichte punkten. Ist es also diese zusätzliche Unterstützung, welche Spyros zu einem erfolgreichen Abschluss auf dem zweiten Bildungsweg motiviert? Auf jeden Fall auch, aber natürlich nicht ausschließlich. Am Berlin-Kolleg fühlt Spyros sich im Ganzen sichtlich wohl. Leider wird er selbst hier noch hin und wieder mit Vorurteilen konfrontiert; meistens handelt es sich dabei allerdings um Konflikte, die sich schnell durch klärende Gespräche, aber spätestens im Rahmen einer Mediation lösen lassen.

„Ich finde die LehrerInnen am Berlin-Kolleg sehr tolerant. Früher hat es niemanden interessiert, wenn ich gehänselt oder als Schwuchtel bezeichnet wurde. Hier fühlt man sich sehr sicher.“

Spyros, Kollegiat am Berlin kolleg im Frühjahr 2023

Die Möglichkeit, das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachzuholen, erinnert viele Erwachsene an vergessen geglaubte Talente. Spyros ist hierfür ein gutes Beispiel. Er ist am Berlin-Kolleg auch wegen seiner Auftritte mit „Die Band“, in der er als Sänger mitwirkte, bekannt. Für Zuhörende scheint es unglaublich, dass er seine Begeisterung für das Musizieren tatsächlich erst am Berlin-Kolleg zurückerlangt hat. Ausschlaggebend für das Aufleben dieses Talents war im Übrigen der Musikunterricht und auch das Fördern und Unterstützen ausdrucksstarker Stimmen durch seine Musiklehrerin.

Spyros ist der lebende Beweis dafür, dass ein geordnetes Leben nicht langweilig sein muss. Am Berlin-Kolleg hat er sich neue Hobbys erschlossen, die er auch nach dem Erlangen des Abiturs weiterverfolgen möchte. Abgesehen davon fühlt er sich in Berlin zu Hause. Er liebt es, die Natur in und rund um Berlin zusammen mit seinem Hund zu erkunden. Das erfüllt ihn derzeit sogar mehr, als große Reisen zu planen. Nächstes Jahr wird er seine allgemeine Hochschulreife in der Tasche haben, dennoch beschäftigt er sich auch heute schon mit den Inhalten seines zukünftigen Studiums.

Spyros‘ Begeisterungsfähigkeit und das Talent dafür, sein Leben kontinuierlich neu zu gestalten, sind beste Voraussetzungen dafür, dass er seine Visionen auch in Zukunft in die Realität umsetzen wird.


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